Krieg, Trauma und Psyche (Teil 4)

Doch alles auf einer Seite lesen

4. Was brauchen Helfende?

Soziales Engagement und ehrenamtliche Hilfe zu leisten, kann uns eine Menge zurückgeben und wird von vielen auch in gewissem Maße als moralische Pflicht angesehen. Doch wer sich Helfende etwas näher anschaut, bemerkt meist schnell: Auch Helfende brauchen Hilfe – und zwar egal ob sie hauptberuflich oder freiwillig helfen.

Denn mit Menschen zu arbeiten, die aus schwierigen oder gar traumatisierenden Umständen kommen, ist anstrengend und belastend. Helfende erleben oft ein hohes Maß an Stress. Egal wie viel sie tun, es scheint nicht zu reichen. Oft fühlen sie sich selbst irgendwann der Situation nicht mehr gewachsen und hilflos.

Das kommt Ihnen von weiter oben bekannt vor?

Ganz richtig!

Zusätzlich zu „normalem“ Stress, der bereits bis zum Burn-Out führen kann, kann es bei Helfenden in gravierenden Fällen zu einer sogenannten sekundären Traumatisierung kommen:

Obwohl sie selbst nicht die traumatische Situation erlebt haben, entwickeln sie teilweise ähnliche Symptome, wie die Menschen, denen sie helfen, weil sie mit deren Erlebnissen langanhaltend konfrontiert werden und oft nicht gelernt haben, damit umzugehen.

Dann lieber nicht helfen? – Quatsch!

Sich jetzt ganz zurückzuziehen und die sprichwörtlichen Finger von Menschen mit Trauma-Erfahrungen zu lassen, ist natürlich auch nicht sinnvoll. Wenn Sie den Impuls haben, zu helfen, dann ja genau damit Sie sich nicht hilflos fühlen, damit Sie etwas für andere Menschen tun können. Sie würden sich kaum besser fühlen, wenn Sie wüssten, dass Menschen Hilfe brauchen, die niemand leistet, aus Angst vor Stress und Belastung.

Und es ist auch gar nicht so schwer beides zu schaffen: Helfen und auf sich selbst achten – wenn man einige Tipps beachtet:

Tipps zum Umgang mit Stress und Belastung (nicht nur) für Helfende

Viele Helfende neigen dazu, sich selbst zu überfordern. Im Angesicht des riesigen Elends, das ihnen begegnet, scheint der eigene Stress oft harmlos. Aber das ist ein Trugschluss. Nur weil es anderen noch schlechter geht, wird das eigene Leid ja nicht weniger.

Und es gibt einen weiteren gefährlichen Trugschluss:

Wenn Helfende sich erst ins Burn-Out gearbeitet haben, wer hilft dann? Und wer bleibt noch übrig um den Burn-Out Patienten zu helfen?
Wenn es ohnehin schon zu wenig von etwas gibt, dann müssen wir sorgsam und effizient damit umgehen, das gilt auch für unsere eigene Energie.

Selbstfürsorge ist kein Egoismus!

Das müssen wir zuallererst verinnerlichen. Hierzu gibt es einen schönen Vergleich:

Germania_Safety_card, (CC) BerlinDruck – BerlinDruck GmbH + Co KG

In Flugzeugen finden wir oft Sicherheitsanweisungen, wie im Falle eines Druckabfalls in der Kabine mit den Sauerstoffmasken umzugehen ist. Viele Menschen sind verblüfft, wenn sie sehen, dass sie sich selbst zuerst versorgen sollen, auch wenn ihr kleines Kind neben ihnen sitzt. Unser Instinkt und unsere moralische Erziehung sagt uns etwas anderes. Das hilflose Kind zuerst! Aber wenn wir kurz darüber nachdenken ist es logisch:

Wenn ich gut versorgt bin, kann ich mich gut um die Hilfsbedürftigen kümmern.

Wenn ich aber selbst schon nach Luft schnappe, wird es mir schwerfallen, meinem vielleicht panischen zappelnden Kind die Maske aufzusetzen. Und selbst wenn ich es schaffe, bin ich danach möglicherweise schon zu benommen um nach meiner eigenen Maske zu greifen. Ich werde ohnmächtig und mein Kind reißt sich aus Angst die Maske wieder herunter. Am Ende ist so niemandem geholfen.

Genauso ist es auch im Alltag und bei sozialem Engagement: Entgegen dem, was die meisten von uns gelernt haben, ist es also nicht egoistisch, sich immer zuerst selbst zu versorgen, bevor man anderen hilft. Es ist dringend notwendig, damit wir auch langfristig weiter helfen können. Niemandem ist geholfen wenn Sie sich völlig ausbrennen und dann nicht nur nichts mehr leisten können, sondern selbst Therapie brauchen.

Ein paar Tipps zur Selbstfürsorge

Selbstverstehen

Machen Sie sich das Beispiel mit der Flugzeugsicherheit von oben bewusst!

Selbstfürsorge ist kein Egoismus! Stressbewältigung ist ein Grundbedürfnis!

Finden Sie heraus, wie und welche Stressoren bei Ihnen wirken,
in dem Sie sich folgende Fragen stellen:

  • Was stresst mich?
  • Welche Situationen sind (vielleicht auch erst im Nachhinein) belastend und lassen mich nicht los oder rauben mir die Energie?
  • Wo habe ich vielleicht falsche oder zu hohe Erwartungen an mich oder Andere?
  • Versuche ich gerade allein die Welt zu retten? 🙂

Schreiben Sie Ihre Antworten am Besten auf. Das hilft, sich zu gedanklich strukturieren und den Überblick zu behalten.

Selbstwahrnehmung

Im hektischen Alltag vergessen wir oft, überhaupt in uns hinein zu spüren und sozusagen Bestandsaufnahme zu machen.
Führen Sie ein regelmäßiges Check-In mit sich selbst durch, mindestens morgens und abends, am besten über den Tag verteilt:

  • Wie geht es mir?
  • Was kann ich noch leisten?
  • Wo muss ich Abstriche machen, damit ich dauerhaft fit bleibe?

Aber auch banale Fragen wie:

  • Brauche ich mal 5 Minuten frische Luft?
  • Habe ich gerade Durst oder Hunger?
  • Muss ich zur Toilette?

Auch diese Grundbedürfnisse zu lange zu ignorieren verursacht zusätzlichen Stress, dem man leicht Abhilfe schaffen kann, indem man sich kurz um die Versorgung dieser Bedürfnisse kümmert.

Damit Sie auch regelmäßig an Ihr Check-In denken, kann es helfen sich im Alltag kleine Erinnerungen einzubauen:

  • Post-Its mit Check-In Fragen an Stellen kleben, die Sie regelmäßig sehen (Kalender, Bildschirm, Handyhülle, Badspiegel etc.)
  • Handyerinnerungen: Stellen Sie Timer, Wecker oder Terminerinnerungen ein, die Sie an Ihre Selbstwahrnehmung erinnern.
  • Check-In-Fragen in die To-Do-Liste integrieren (jeder 2. Punkt auf der Liste darf eine kurze Frage sein oder die Aufforderung sich mal kurz hinzusetzen, ein paar Schritte zu gehen, etwas zu trinken etc.)
  • Rituale Etablieren: Gewöhnen Sie sich an, jeden Morgen wahrzunehmen wie es Ihnen geht und Ihren Tagesplan oder wenigstens Ihre Erwartungen an sich selbst soweit möglich daran auszurichten. Lassen Sie den Tag abends Revue passieren.
Selbstregulation

Machen Sie sich bewusst, was Ihnen hilft runterzukommen und die Akkus wieder aufzuladen.

Was tut Ihnen gut in verschiedenen Bedürfnisbereichen (Ruhe und Entspannung, Bewegung, Sozialkontakte, Kreativität & Stimulation (Hobbies), Genuss mit allen Sinnen)?

Auch hier hilft es angenehme Aktivitäten zur Selbstfürsorge strukturiert aufzuschreiben und sich sozusagen eine Wohlfühlliste zu machen.

Vielleicht wissen Sie auch gar nicht (mehr), wie Sie richtig entspannen können. Vielleicht möchten Sie mal ein Entspannungsverfahren in einem Kurs erlernen. Die gesetzlichen Krankenkassen bezuschussen hier viele Kurse (z.B. Autogenes Training, Progressive Muskelentspannung, Yoga oder QiGong).

Selbstfürsorge

Bewusst Auszeiten planen:

„Erst die Arbeit dann das Vergnügen“, so haben es die meisten von uns gelernt.
Aber, wie die Werbung eines bekannten Baumarktes so schön sagt:
„Es gibt immer was zu tun.“

Und dann ist am Ende keine Zeit mehr für Erholung und Vergnügen übrig. Dabei sind Vergnügen bzw. Erholung und Selbstfürsorge kein Luxus, sondern ein wichtiges Grundbedürfnis, das oft genug versorgt werden muss, damit wir psychisch gesund und leistungsfähig bleiben. Das ist genauso wichtig wie Atmen, Trinken, Essen oder schlafen.

Für angenehme Aktivitäten oder auch Passivitäten, die Ihnen Energie zurückgeben, sollten Sie also auch regelmäßig Zeit einplanen. Machen Sie dazu feste Termine dafür und schreiben Sie sie in Ihren Kalender, damit diese Zeit nicht wieder vom Alltag verschluckt wird – auch wenn es am Anfang etwas seltsam ist, wenn da plötzlich eine Verabredung mit Ihrer Badewanne oder der Couch und einem Krimi steht.

Als Daumenregel empfehle ich für Selbstfürsorge folgendes Minimum einzuplanen:

½ – 1 Stunde pro Tag + ½ Tag pro Woche

Klingt utopisch für Ihren Alltag?
Dann müssen Sie vielleicht…

Prioritäten und Grenzen setzen

Machen Sie sich einen Wochenplan oder Tagesplan um die folgende Frage zu beantworten.

Wofür verwenden Sie ihre Zeit?

Wenn Sie schon arbeiten gehen, sich um die Kinder und die Haustiere kümmern, nebenbei noch Angehörige pflegen und den Haushalt machen müssen, dann haben Sie vielleicht schon etwas viele Aufgaben und sollten vielleicht Prioritäten setzen. Das heißt: Aufgaben abgeben um lebenswichtige Zeit für Selbstfürsorge zu schaffen.

Denken Sie daran: Die Priorität gegen die Sie wiegen ist Ihre Gesundheit! Vielleicht wiegen auch wichtige Werte, von denen wir uns sonst schwer trennen können dagegen etwas leichter (z.B. familiäres oder soziales Pflichtgefühl und finanzielle Bedürfnisse).

Grenzen gegenüber Anforderungen von außen

Lernen sie einen einfachen Satz auswendig, der ab jetzt Ihre Antwort wird, auf alle Anfragen beruflich oder privat: Der Satz geht so oder so ähnlich:

Oh, das wird eng. Da muss ich erst in meinen Kalender schauen. Frag(en Sie) mich doch in 5-10 Minuten nochmal.“

Sie müssen gar nicht gleich Nein sagen. Es reicht oft schon, sich die Zeit zu verschaffen, zu überlegen, ob man Ja sagen oder sich doch auf ein Nein vorbereiten möchte. Und solange lassen Sie die Verantwortung für die Aufgabe noch bei dem, der fragt.
Ein weiterer Vorteil: Menschen die nur schnell eine Aufgabe loswerden wollten, kommen oft gar nicht wieder, weil sie es inzwischen doch selbst gemacht haben oder jemanden gefunden haben, der diesen Tipp nicht kannte. 🙂

Grenzen gegen eigene ungünstige Angewohnheiten

  • Lassen Sie mal Fünfe gerade sein, statt Ihrem Perfektionismus freien Lauf.
  • Stellen sie sich einen Wecker für Pausen und Wohlfühlzeit.
  • Nehmen Sie Ihre Wohlfühlliste von oben und installieren Sie sie als Stolperstein vor der schlechten Angewohnheit Ihrer Wahl. Dann fällt es Ihnen vielleicht leichter, statt der schlechten Angewohnheit etwas zu tun, was Sie wirklich runterbringt.
    • Sie neigen zum Naschen? – Hängen Sie die Liste an den Kühlschrank oder vor den Schnuckschrank.
    • Sie versacken gern vor dem Fernseher? – legen Sie die Liste auf die Fernbedienung oder kleben Sie sie an den Bildschirmrand.
    • Sie verdaddeln sich im Internet oder am Handy? – Probieren Sie die Liste mal als Bildschirmhintergrund oder laden Sie sich eine App herunter, die Ihren Konsum bestimmter Medien überwacht und Sie nach einem bestimmten Zeitintervall erinnert.
    • Letzteres gilt vor allem, wenn Sie im Angesicht von Kriegen und Katastrophen dazu neigen zu „doomscrollen“, das heißt Sie schauen sich solange Bilder und Berichte von Krieg und Elend an, bis Ihre Stimmung abstürzt und sie völlig gelähmt oder verängstigt sind. Auch damit ist niemandem geholfen.

Selbstbestimmung erhalten

Jeder Mensch braucht Selbstbestimmung! Auch Helfende!
Natürlich haben wir allemal stressige Phasen und Krisen. Nicht alles davon suchen wir uns selbst aus und können es einfach abschalten. Und auch mit der besten Selbstfürsorge ist es nicht zu vermeiden, dass wir manchmal gestresst oder überfordert sind.

Wenn Sie aber das Gefühl haben, vielleicht schon länger nur noch im Hamsterrad zu laufen und völlig fremdbestimmt zu sein, dann läuft bei Ihnen möglicherweise etwas Grundlegendes bei der Stressbewältigung schief. Falls sie mit den Tipps oben so gar nicht weiterkommen, suchen Sie sich rechtzeitig Hilfe!

Meine (kostenlosen) Angebote für Sie:

Kostenlose Beratung für freiwillige Helfende

Sie helfen freiwillig/ehrenamtlich Geflüchteten und haben Fragen zum Umgang mit traumatisierten Menschen oder dem eigenen Stress in dieser Situation?

Ich biete Ihnen neben der Information hier und auf meiner Homepage eine kostenlose psychologische Beratung an. Kontaktieren Sie mich einfach per Telefon (meist Anrufbeantworter) oder per Mail, gern auch schon mit Zeiten zu denen Sie gut Zeit haben und ich versuche Ihnen ein Terminangebot zu machen. Die Beratung kann entweder in meiner Praxis in Altenlotheim stattfinden oder online über den datenschutzkonformen Anbieter TheraPsy.

Es ist ein Beratungsangebot, das ich soweit irgend möglich, auch mit therapeutischen Ansätzen ausgestalten werde, um möglicherweise auch Menschen mit Therapiebedarf überbrückend zu helfen. Eine vollständige Therapie kann ich aber leider nicht kostenlos anbieten.

Für die Beratung ist es sinnvoll, wenn Sie sich die Inhalte und Tipps hier bzw. auf meiner Website schon mal durchzulesen und vielleicht eine erste Umsetzung zu versuchen. Dann können wir in der Beratung umso effektiver arbeiten. Wenn Sie aber gerade sehr unter Druck stehen oder ganz andere Fragen mitbringen, klappt eine Beratung natürlich auch ohne Vorbereitung.

Fortbildungen zu psychologischen Themen

Sie haben ein ehrenamtliches Helfendenteam, für das Sie sich eine kurze Fortbildung zu den Themen „Trauma und seine psychischen Folgen“ und/oder „Stressbewältigung für Helfende“ wünschen?

Kontaktieren Sie mich gern. Ich versuche auch hier zu schauen, was kostenlos möglich ist, online, in meiner Praxis oder in Ihren Räumlichkeiten in der Region Waldeck-Frankenberg.

Da ich selbst auch von meinen Angeboten lebe, kann ich nur ein gewisses Kontingent an Leistungen kostenlos anbieten. Deshalb gilt das kostenlose Angebot nur für freiwillige/ehrenamtliche Helfende und nur im Rahmen der Arbeit mit (potentiell) traumatisierten Menschen, weil diese oft besonders belastend ist. Es gilt also Ehrenamt für Ehrenamt.

Aber natürlich freue ich mich auch weiterhin über bezahlte Anfragen von hauptamtlichen Trägern oder für reguläre Stressbewältigung, Beratung, Coaching und Therapie (lt. Heilpraktikergesetz) oder Yoga-Unterricht.

Was ist mit den Betroffenen/Geflüchteten selbst???


Natürlich würde ich all das auch gern für Geflüchtete selbst anbieten. Leider spreche ich weder ukrainisch noch russisch. Wer halbwegs Deutsch oder Englisch versteht, dem versuche ich selbstverständlich gern zu helfen.

Wer die Fähigkeit und Interesse hat, Infomaterial zum Thema Trauma für Betroffene ins Ukrainische oder Russische zu übersetzen, meldet sich gern bei mir und wir versuchen gemeinsam, etwas hilfreiches auf die Beine zu stellen.

Hier bin ich zu finden:

Adresse
Frankenauer Straße 11
35110 Frankenau

Sprechzeiten und Unterricht
nach Vereinbarung unter
06455 6999864
oder
Saskia@psiom.de

 

Seminare und Vorträge können bei entsprechender Software-Ausstattung des Auftraggebers auch online angeboten werden.