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3. Was brauchen Betroffene?
Sicherheit und Normalität
Das ist der erste und wichtigste aber auch gleichzeitig der der schwierigste Teil, bei den meisten Menschen mit traumatischen Erfahrungen, ganz besonders aber bei Geflüchteten, die oft über Monate und Jahre jenseits dessen leben müssen, was Sicherheit und Normalität für sie bedeutet hat.
Auch wenn aus unserer Sicht Deutschland für Geflüchtete sicher ist:
- Der Krieg in ihrer Heimat geht weiter. Ihr Zuhause wird weiter zerstört. Geliebte Menschen sind vielleicht noch dort und in ständiger Gefahr.
- Sie sind oft Fremdenhass ausgesetzt.
- Manche nutzen Unwissenheit und Ängste aus, um sie um das wenige zu betrügen, das sie haben.
- Sie werden leichter Opfer von sexualisierter Gewalt.
Selbstbestimmung
Da der Krieg, die Flucht und die Erfahrung völliger Hilflosigkeit in schrecklichen Situationen, den Menschen so viel Kontrolle über ihr Leben weggenommen haben, ist es wichtig ihnen sobald wie möglich ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. Nur so können sie die Erfahrung machen, dass sie nicht restlos der Situation ausgeliefert sind, sondern selbst etwas tun können, um ihr Leben so gut wie möglich zu gestalten. Das senkt übrigens auch das Risiko für psychische Erkrankungen und ist nebenbei nützlich für unsere Gesellschaft, die durch gesunde, engagierte Menschen nur bereichert werden kann.
Dazu gehört aber auch Menschen nicht auf ihr Trauma zu reduzieren. Trauma braucht den Raum, den es eben braucht, aber es sollte nicht zusätzlich forciert werden. Wir sollten uns bewusst machen, dass Geflüchtete Menschen möglicherweise mit Traumafolgen und
-symptomen zu uns kommen und versuchen sie vor diesem Hintergrund zu verstehen, wenn uns Symptome und Verhaltensweisen auffallen.
Aber in erster Linie kommen da ganz individuelle Menschen, auf die wir uns einlassen sollten, genau wie auf Menschen, die wir in anderen Situationen kennenlernen. Auch das gibt ein Stück Normalität, Selbstbestimmung und nicht zuletzt Menschenwürde.
Was behindert Selbstbestimmung?
- Geflüchtete können meist die Sprache im Ankunftsland nicht, was eine große Barriere für Selbstbestimmung darstellt, da ohne Sprache fast nichts ohne Hilfe möglich ist.
- Trotz der Ähnlichkeit unserer Kulturen, ist manches vielleicht anders, verunsichernd. Geflüchtete kennen sich mit der Bürokratie nicht aus. Der Öffentliche Nahverkehr ist vielleicht anders geregelt etc.
- Sie sind auf Hilfe angewiesen, finanziell, sprachlich etc. So notwendig es auch ist, es nimmt ihnen ein Stück Selbstbestimmung weg.
- Nicht zuletzt wird ihr Trauma entweder ignoriert oder sie werden auf ihren Geflüchtetenstatus und damit auf ihr Trauma reduziert, was ebenfalls nicht hilft, sich menschenwürdig ein neues Leben aufzubauen.
Individuelle Unterstützung
Nach all den allgemeinen Informationen zum Ablauf von Traumata und ihren Folgen ist es wichtig zu sagen, dass jeder Mensch Traumata anders verarbeitet. Die beschriebenen Symptome und Abläufe treten bei manchen vielleicht verzögert auf, bei anderen kurz und heftig und verschwinden dann wieder. Manche haben vielleicht das Vollbild einer PTBS, bei anderen sind nur Einzelsymptome vorhanden oder die Folgen des Traumas verlagern sich in ganz andere psychische Bereiche oder Erkrankungen.
Deshalb kann ich hier zwar erste Tipps und Richtlinien zur Orientierung mitgeben aber keine Pauschalaussagen für individuelle Fälle treffen.
Beispiele:
- Für manche Wenige bedeuten Sicherheit und Selbstbestimmung, dass sie erst einmal nichts tun müssen, dass sie Zeit haben zu heilen und dabei geschützt und gut versorgt sind. Vielleicht möchten sie sich erst einmal vor der schlimmen Realität verkriechen, um sich zu schützen.
- Für die meisten aber bedeuten Sicherheit und Selbstbestimmung, schnell wieder auf eigenen Füßen zu stehen, sich selbst versorgen zu können. Deshalb wollen viele Geflüchtete schnell Deutsch lernen, arbeiten gehen und eine eigene Wohnung haben.
So wichtig und notwendig unsere Hilfsangebote sind und so dankbar sie auch angenommen werden, am liebsten wollen die meisten Menschen nicht darauf angewiesen sein. Sie möchte die Kontrolle über ihr eigenes Leben so weit wie möglich zurück.
Was können wir also tun?
Auf Augenhöhe und mit Respekt begegnen. Klingt banal, aber es gibt bei vielen eine oft unbewusste und gut gemeinte Tendenz „hilfsbedürftig“ mit „unmündig“ zu verknüpfen. Erklären Sie immer so viel wie möglich, damit die Menschen, denen Sie helfen möchten die jeweilige Situation gut verstehen und ihre eigenen Entscheidungen treffen können. Allein das gibt Sicherheit und Selbstbestimmung.
Nehmen Sie Dank an. Natürlich sollen Sie nicht das letzte Geld oder Hemd von jemandem nehmen oder Arbeitskraft ausnutzen. Aber für viele Menschen, die Hilfe bekommen, ist es auch wichtig schon früh zu versuchen etwas zurückzugeben, sich nützlich zu machen. Geben Sie Menschen, die Ihnen für Ihre Hilfe danken wollen, in angemessenem Rahmen die Chance dazu. Auch das gehört zu Begegnung auf Augenhöhe und so können sich echte Freundschaften entwickeln, statt einseitige Gebe-Beziehungen.
Positive Inselerfahrungen – aber eher KEINE Überraschungen
In all dem Chaos und Elend die Lebensfreude nicht vergessen! Machen Sie auch Angebote, die Spaß machen: gemeinsame Koch- oder Grillabende, basteln mit Kindern, Ausflüge in Zoo oder Schwimmbad, Dinge, bei denen Sprache nicht so wichtig ist.
Wichtig hierbei ist Transparenz und Freiwilligkeit. Natürlich haben manche Menschen, nach ihren Erfahrungen nicht immer Lust sich zu vergnügen. Fragen Sie, ob und auf was die Menschen, die Sie begleiten, Lust haben. Machen Sie immer wieder Vorschläge, aber keine ungefragten Überraschungen. So gern wir unter normalen Umständen Überraschungen mögen, sie nehmen ja mit Absicht ein ganzes Stück Kontrolle und Vorhersehbarkeit in einer Situation weg. Das ist für Menschen nach traumatischen Erfahrungen oft nicht angenehm, auch wenn die Überraschung positiv ist.
Stellen Sie Geflüchteten Handys und Internetzugang zur Verfügung. Was für manche wie uns immer noch wie Luxusprodukte aussieht, ist zum einen längst Standardausstattung. Zum anderen haben diese Dinge für Geflüchtete eine ganz andere Bedeutung: Kontakt nach Hause, wichtige Informationen, vor allem die Sicherheit, dass Angehörige und Freunde im Kriegsgebiet noch leben.
Spenden. Die erste Spendenwelle ist bereits abgeflaut. Es fehlt überall an Waren und Gütern, um Geflüchtete und auch Menschen in der Ukraine zu versorgen.
Nicht die gesamte Hilfe für die Ukraine und ihre Bürger kann ehrenamtlich geleistet werden. Es braucht jede Menge professionelle Vollzeithelfer, deren Arbeitsplätze finanziert werden müssen. Spenden ist keine schlechtere oder zu einfache Art zu helfen.
Zivilcourage: Machen Sie den Mund auf, wenn in Ihrem Umfeld fremdenfeindliche Kommentare fallen. Das erfordert Mut und kann auch mal die Stimmung versauen, aber es ist wichtig Solidarität auch offen zu zeigen.
Begleiten Sie Geflüchtete bei Behördengängen, unterstützen Sie bei Papierkram, Wohnungssuche, Jobsuche etc.
Sprachunterricht. Auch wenn Sie keine Ausbildung dazu haben. Wir alle können anderen Menschen Grundlagen unserer Muttersprache vermitteln, damit sie sich verständlich machen und andere verstehen können – notfalls mit Bildern aus dem Internet, Händen und Füßen. Das macht sogar Spaß!